Der richtige Abstand zum Nachbarn ist eine uralte Menschheitsfrage und stellt sich vermutlich seit dem Sesshaftwerden. Bereits die Römer kannten in ihrem berühmten Zwölftafelgesetz ausführliche Regelungen zum Immobiliarrecht. Das Verhältnis und die Abgrenzung zum Nachbarn spielten schon damals eine zentrale Rolle. Auch heute treten im Zusammenhang mit Bauvorhaben immer wieder "Grenzfragen" auf. Wer bei seinem Bauvorhaben nicht genügend Abstand zum Nachbarn hält, muss unter Umständen mit gravierenden Konsequenzen rechnen. Auf jeden Fall ist Ärger vorprogrammiert. Grenzbebauungen sind eine der häufigsten Ursachen für nachbarschaftlichen Rechtsstreit. Welche Regeln gelten und was in puncto Abstand zu beachten ist - mehr dazu erfahren Sie hier.
Bauordnung und Bebauungsplan - der rechtliche Rahmen
Bei der Errichtung eines Gebäudes oder baulicher Anlagen auf einem Grundstück sind bestimmte Mindestabstände zu Nachbargebäuden oder Grundstücksgrenzen zu wahren. Entsprechende Vorschriften dienen einerseits dem Brandschutz, andererseits der Sicherung der Wohnqualität von Nachbarn durch genügend Sicht, Lichteinfall, Luft und ausreichende "soziale Distanz". Abstandsregelungen sind ein Gegenstand des Bauordnungsrechts, für das im Rahmen des deutschen Föderalismus die Bundesländer zuständig sind. Die Länder haben zu diesem Zweck eigene Bauordnungen erlassen.
Die Regelungen zur Grenzbebauung und zu Abständen in den einzelnen Landesbauordnungen sind zwar nicht identisch, aber ähnlich. Das gilt insbesondere für die Regelungssystematik. Sie stellt den allgemeinen rechtlichen Rahmen für die Abstandswahrung dar.
Allerdings können die Vorgaben der Bauordnung durch kommunale Bebauungspläne durchbrochen werden. Wenn ein Bebauungsplan andere Abstände vorsieht als in der relevanten Bauordnung vorgesehen, dann geht diese Regelung vor.
Neben Bauordnungen und Bebauungsplänen existieren in den meisten Bundesländern auch noch Nachbarrechtsgesetze. Hier sind weitere Regelungen zum baulichen und pflanzlichen Nachbarrecht enthalten. Dabei geht es auch um Grenzabstände. Viele Regelungen befassen sich mit der Errichtung von Nachbar- und Grenzwänden sowie zulässigen Anbauten daran. Zum Teil sind in den Gesetzen detaillierte Vorgaben bezüglich bestimmter "grenzrelevanter" Bauausführungen vorgesehen. Die jeweils geltenden Bauordnungen werden dadurch allerdings nicht in Frage gestellt.
Abstandsflächen und Mindestabstand - wie ist der Zusammenhang?
Die Bauordnungen sehen bei Bauwerken zum einen einzuhaltende Mindestabstände zur Grundstücksgrenze vor, zum anderen sind (Mindest)-Abstandsflächen vorgeschrieben.
- Der Mindestabstand beträgt - je nach Bundesland - zwischen 2,5 Metern und 3 Metern. Dabei ist der Abstand der Hausfassade zur Grundstücksgrenze gemeint.
- Bei der Mindestabstandsfläche wird die gesamte Breite der Fassade eines Bauwerks zugrunde gelegt. Sie ergibt sich aus der Länge und der Höhe des Gebäudes. Die so errechnete Zahl wird aber nicht einfach 1 : 1 "umgeklappt", um die einzuhaltende Abstandsfläche zu definieren. Es erfolgt eine Multiplikation mit Faktoren, die zwischen 0,2 und 1 liegen. Dadurch ist die Mindestabstandsfläche sehr häufig kleiner als die Fassadenfläche.
Die Faktoren unterscheiden sich wiederum je nach Bundesland. In vielen Ländern gilt der Faktor 0,4. Manche Bundesländer differenzieren auch nach der Gebäudeart oder danach, ob der Bau in einem Kerngebiet (dichter bebauter Siedlungskern) oder außerhalb davon liegt. In Kerngebieten ist die einzuhaltende Abstandsfläche dann geringer als sonst. In Baden-Württemberg ist in Kerngebieten zum Beispiel der Faktor 0,2 anzuwenden, ansonsten 0,4. In Bayern beträgt der allgemeine Faktor 1, der Kerngebiets-Faktor 0,5.
- Meist Faktor 0.4
- BW und BY Faktor 0.2 - 1.0
Besondere Regeln gelten auch bei der Berücksichtigung von Dächern. Flachdächer sind naturgemäß nie Teil der Fassade. Sie fließen nicht in die Abstandsberechnung ein. Schräge Dächer (Satteldächer, Walmdächer) werden dagegen in die Berechnung einbezogen. Dabei kommt es in der Regel auf die Schräge an, in welchem Umfang das geschieht. In vielen Bundesländern gilt eine Regelung, wonach bei Dachneigungen von über 70 Grad mit dem Faktor 1 (= zu hundert Prozent) zu rechnen ist. Bei Neigungen unter 70 Prozent gilt dagegen der Faktor 1/3 (Berücksichtigung zu 33,33 Prozent).
- >70° - Faktor 1
- <70° - Faktor 1/3
Ist der Abstand, der sich bei der Berechnung der Abstandsfläche ergibt, kleiner als der in der Bauordnung vorgesehene Mindestabstand, ist der Mindestabstand einzuhalten.
Ist der Abstand der Abstandsfläche dagegen größer als der Mindestabstand, gilt dieser Abstand.
Normalerweise beziehen sich Abstandsflächen immer nur auf das betreffende Grundstück. Sie dürfen sich allerdings auch auf angrenzende öffentliche Straßen, Wege und Grünflächen erstrecken - bei beidseitig möglicher Bebauung einer öffentlichen Fläche jedoch lediglich bis zur Mitte.
Ausnahmsweise darf eine Abstandsfläche auch auf das Nachbargrundstück reichen, wenn der Nachbar im Rahmen einer sogenannten Abstandsflächen-Übernahmeerklärung sein Einverständnis dazu gegeben hat. Dadurch ist es möglich, die sonst vorgeschriebenen Mindestabstände auf dem eigenen Grundstück zu unterschreiten. Die Übernahme der Abstandsfläche muss in einem besonderen Baulastenverzeichnis eingetragen werden. Der Nachbar darf dann seinerseits nicht die auf sein Grundstück ragende Abstandsfläche überbauen.
Was besagt das 16 Meter-Privileg?
Das 16 Meter-Privileg - oft auch als Schmalseiten-Privileg bezeichnet - ist eine Ausnahmevorschrift, die in bestimmten Fällen geringere Mindestabstandsflächen möglich macht als eigentlich nach der Bauordnung vorgesehen. Früher war es eine gängige Regelung. Heute ist es nur noch in den Bauordnungen von Bayern und Nordrhein-Westfalen enthalten, seit die meisten Länder dazu übergegangen sind, den Faktor 0,4 bei den Abstandsflächen zugrunde zu legen und nicht mehr den alten Standard 1.
Das 16 Meter-Privileg besagt, dass bei Außenwänden von einer Länge mit nicht mehr als 16 Metern nur die Hälfte der sonst zu berücksichtigenden Tiefe (Höhe) anzuwenden ist. Dadurch halbiert sich die Abstandsfläche. Das 16 Meter-Privileg darf nur für maximal zwei Außenwände in Anspruch genommen werden - allerdings nur einmal bei Gebäuden mit einer unmittelbar an ein Nachbargrundstück oder -gebäude angrenzenden Außenwand (Doppelhaushälfte), ebenso höchstens einmal im Hinblick auf das gleiche Nachbargrundstück. Vorgaben zu Mindestabständen sind trotzdem einzuhalten.
Wie berechnet sich die Abstandsfläche genau?
Die entscheidende Größe bei der Abstandsfläche ist die Abstandstiefe (Tiefe der Abstandsfläche = TA). Die Fläche ergibt sich daraus automatisch durch Multiplikation mit der Fassadenlänge. Die Größe TA wird nach folgender Formel berechnet:
wobei
F= nach der jeweiligen Bauordnung anzuwendender Faktor
H= Außenwandhöhe
FD= laut Bauordnung anzuwendender Dach-Faktor nach Dachneigung
HD= Dachhöhe
Beispielrechnung
Unterstellt man zum Beispiel ein Haus in Bayern außerhalb eines Kerngebietes (Faktor 1) mit einer Außenwandhöhe von 5 Metern und einem 45 Grad-Dach (Dach-Faktor 1/3) von 2,70 Meter Höhe, würde sich folgendes ergeben:
TA = 1 x (5 m + 1/3 x 2,70 m) = 5,90 m
Der Abstand ist größer als der von der bayerischen Bauordnung vorgegebene Mindestabstand von 3 Metern. Das heißt, es gilt der Abstand 5,90 Meter.
Wie werden Erker, Balkone, Gauben und Terrassen berücksichtigt?
Durch Erker, Balkone und Gauben wird ein Bauwerk flächenmäßig ausgedehnt, ohne dass die Grundfläche dadurch verändert wird. Sofern sich solche "Vorbauten" in Maßen halten, werden sie bei der Berechnung der Abstandsflächen ignoriert. In vielen Bauordnungen ist vorgesehen, dass Erker, Balkone und Gauben vernachlässigt werden können, wenn sie nicht mehr als 1,50 Meter aus dem Bauwerk hervorragen und nicht über ein Drittel der Fassadenfläche einnehmen. Ebenfalls unberücksichtigt bei der Abstandsberechnung bleiben - oft nachträglich angebrachte - Wärmedämmverbundsysteme, wenn sie nicht stärker sind als 20 bis 25 cm.
- Erker, Balkone und Gauben werden ignoriert solange sie nicht mehr als 1,50 m herausragen.
Ein schwieriges Feld können Terrassen sein. Es ist in den Landesbauordnungen üblich, Terrassen bei den Abstandsflächen unberücksichtigt zu lassen, weil sie die Schutzzwecke Brandsicherung, ausreichende Belichtung oder Belüftung des Nachbargrundstücks nicht beeinträchtigen. Danach wäre eine Terrassenanlage innerhalb des Grundstücks nahezu "unbegrenzt" möglich. Einschränkungen gelten allerdings bei überdachten, erhöhten oder mit Sichtschutz versehenen Terrassen. Hier können Grenzen durch das Bauordnungsrecht und die Nachbarrechtsgesetze der Länder bestehen.
- Terrassen werden ignoriert solange sie nicht überdacht, erhöht oder mit Sichtschutz versehen sind.
Was gilt bei Garagen, Gartenhäusern & Co?
Bei Garagen, Carports, Gartenhäusern, Gewächshäusern, Schuppen und ähnlichen Bauten ist das Bauordnungsrecht besonders bunt. Fast jedes Land hat seine eigenen Vorschriften. Häufig gilt das Prinzip, dass solche baulichen Einrichtungen genehmigungsfrei sind, wenn sie sich "im normalen Rahmen" bewegen. Sie fallen dann vielfach auch nicht unter die Vorschriften zur Abstandswahrung.
Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Angesichts der herrschenden Vielfalt ist eine vorherige behördliche Abklärung auf jeden Fall zu empfehlen, wenn ein "grenzkritisches" Garagen- oder Gartenhaus-Vorhaben besteht. Es kann auch nicht schaden, den Nachbarn im Sinne der "Klimapflege" frühzeitig zu informieren und einzubinden, selbst wenn keine rechtliche Verpflichtung dazu besteht.
Überschreitung der Grenzbebauung - was sind die Folgen?
Nachbarn verfügen im Rahmen des sogenannten "Drittschutzes" über umfangreiche Mittel, sich gegen Verletzungen der Abstandsflächen zu wehren. Folgende Rechte bestehen in den unterschiedlichen Fällen:
- Genehmigungsphase: Hier sind Nachbarn oft schon während des Verfahrens einzubeziehen.
- Baugenehmigung bereits erteilt: Hier kann ein Nachbar Widerspruch einlegen und bei Ablehnung des Widerspruchs ggf. eine Anfechtungsklage erheben.
- Bauvorhaben bereits begonnen: Hier kann ein Antrag auf Stilllegung des Bauvorhabens gestellt werden.
- Gebäuden bereits errichtet: Hier besteht die Möglichkeit, auf eine Abriss- oder Rückbauverfügung zu klagen.
Ein besonderer Fall der "Grenzverletzung" ist die Überbauung. Sie liegt vor, wenn ein Bau über die Grenze zum Nachbargrundstück hinausragt. Ein Nachbar muss den Überbau dulden, wenn er ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit erfolgt ist und nicht zeitnah widersprochen wurde. Dem Nachbarn hat aber in diesem Fall Anspruch auf eine Überbaurente. Geregelt ist das in den §§ 912 ff. BGB.